Muslimisch jüdisches Abendbrot
Von unserem muslimisch-jüdischen Abendbrottisch in Frankfurt berichten Saba-Nur Cheema und ich in unserer gemeinsamen FAZ-Kolumne. Wie steht’s um die vorprogrammierte Identitätskrise unserer Kinder? Wie läuft das multireligiöse Zusammenleben? Und wie kommentieren wir von hier aus die politische und gesellschaftliche Gegenwart?
In unserem im September 2024 bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen gemeinsamen Buch Muslimisch jüdisches Abendbrot. Das Miteinander in Zeiten der Polarisierung sind einige der Kolumnen erneut abgedruckt.
Alle Kolumnen können Sie unten nachlesen.
05.08.2024
Wie viel Zweifel ist erlaubt?
"Dass Minderheiten in öffentlichen Debatten immer mehr Gehör bekommen, ist positiv. Dazu gehört, dass auch offizielle Repräsentanten sich mit der Idee anfreunden, dass eine Stimmenvielfalt aus der eigenen Community hörbar ist. Eva Illouz hat es so formuliert: 'Wenn ein Intellektueller jemand ist, der das Recht, die Pflicht und den Mut hat, die Wahrheit auszusprechen, dann ist er derjenige, der das Risiko eingeht, mit der Gruppensolidarität zu brechen.'"
22.05.2024
Sie wollen sieben Millionen Israelis auf ihrer Heimat werfen
"Dass es unter Linken immer schon Sympathisanten mörderischer Bewegungen gab, ist nicht neu: Ob sie für die Roten Khmer, Fidel Castro oder Khomeini in Iran Partei ergriffen – es reicht, gegen den Westen zu sein, um sich moralisch auf der richtigen Seite zu wähnen. Die Sympathie für die Hamas steht in dieser unguten Tradition. Die beliebten Vergleiche zwischen den Protesten gegen den Vietnamkrieg mit den aktuellen aber hinken: Damals hat man mit dem Friedenszeichen für Pazifismus demonstriert. Heute wird mit Flaggen islamistischer Fundamentalismus und palästinensischer Nationalismus gefeiert."
19.04.2024
Warten aufs Kind
"In späten Nachtstunden, wenn die eine keine gute Schlafposition findet und der andere aus Solidarität wach bleibt, spekulieren wir darüber, wie das Kind wohl sein wird – sein Aussehen, seine Persönlichkeit. Wir können nicht ahnen, welche Welt es erleben wird. Und es lässt sich sicherlich nicht rational erklären, doch für uns ist das Gefühl einzigartig, einem Menschen das Wichtigste geben zu können, das es gibt: das Leben."
27.02.2024
Das Trauerspiel der Boykottkultur
"Voltaire wird der Satz zugeschrieben „Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen“ – wahrscheinlich war es seine Biografin, die ihm den Satz in den Mund legte. Nun, egal wer das gesagt hat: Wir vermissen diese Haltung in der aufgeheizten Nahost-Debatte."
31.01.2024
Deutsche Täterbiographien werden zu Opfergeschichten
"Am 27. Januar wurde der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts begangen. Solche Tage sprechen selten die große Masse an. Es geht um etwas Offizielleres, um das Bekenntnis des Staates zum „Nie wieder Auschwitz“. Eigentlich ein klarer Gedanke, doch inzwischen ist selbst das keine Selbstverständlichkeit mehr, wenn etwa Rechtsextreme die Gedenkrede an die NS-Opfer von damals halten wollen. Dies geschah jetzt im sächsischen Freital."
27.12.2023
Palmen behängt mit Weihnachtsschmuck?
"Viele fragen uns jedes Jahr: Was macht ihr zwei an Heiligabend? Gemeint ist nicht der heilige Abend des Opferfests oder Jom Kippur, sondern der 24. Dezember. Wir stellen uns vor, wie ein jüdisch-muslimisches Klischee-Weihnachten aussehen könnte: Wir sitzen vor einer dekorierten Palme, statt Plätzchen backen wir Baklava und Challa, und zur Bescherung kommt der Weihnachtsmann mit Kippa auf einem Kamel geritten."
02.12.2023
Wollen die Deutschen Israel moralisch eines Besseren belehren?
"Wie im dystopischen Roman „1984“ von George Orwell erleben wir gerade, wie sich „Unwissenheit ist Stärke“ zu einer Art Leitidee entwickelt. Der Unterschied zu Orwells Vorlage besteht darin, dass das Bewusstsein der Menschen nicht von einem totalitären Staat kontrolliert wird, sondern aktuell Chaos für Verblendung und Orientierungslosigkeit sorgt. Nicht die Vernunft oder das Argument zählen, sondern Emotionalität und Betroffenheit."
23.10.2023
Bei einigen Linken scheint der Kompas völlig verdreht
"Es ist in Deutschland fast schon zum Reflex geworden: Erst mal gibt es antiisraelische Proteste auf der Straße, dann werden die islamischen Verbände aufgefordert, Stellung zu beziehen."
02.10.2023
Vorsicht vor dem Hetero-Cis-Mann
"Es gibt Sonntage, an denen wir so tun, als seien wir richtig deutsch. Das beginnt um 9.30 Uhr in der Schlange beim Bäcker und endet um 20.15 Uhr auf der Couch bei „Tatort“ oder „Polizeiruf“. Beim Bäcker weiß man, was man bekommt. Der Sonntagskrimi ist eher eine Wundertüte: Mal ist man begeistert, mal enttäuscht. Selten fällt unser Urteil unentschieden aus, wie beim jüngsten Münchner „Polizeiruf. Little Boxes“ – deshalb schreiben wir darüber."
17.08.2023
Das ungeschriebene Gesetz der Identitätspolitik
"Auf der einen Seite wird die Hybridität unserer Identität gefeiert und die Selbstbestimmung als Leitprinzip betont. Nach dem Motto „Sei, wer auch immer du sein willst!“ Auf der anderen Seite spielt ein biologistisches Denken eine zentrale Rolle: Du kannst nicht einfach alles sein, deine Vorfahren bestimmen deine Identität."
26.07.2023
Werden die Menschen in Deutschland auf die Straße gehen?
"Wir hatten ein nettes Hotel in einem kleinen Ort mit dem vielversprechenden Namen Heiligenstadt gebucht. Von Frankfurt ist man in zwei Stunden da. Wir fragten uns: Ticken die Leute hier in Heiligenstadt anders als die Menschen im nur dreißig Kilometer entfernten Göttingen oder in Bad Hersfeld ums Eck?"
30.06.2023
Was sagen Islam und Judentum zum Suizid?
"Anfang Juli wird der Bundestag über das neue Gesetz zur Regelung der Sterbehilfe abstimmen. Wie auch immer es ausgeht, ob sich der konservative oder der liberale Entwurf durchsetzt – es ist gut, dass darüber gesprochen wird. Nicht nur im Bundestag, sondern auch in der Gesellschaft. Bei unserem Abendbrot ist das Thema jedenfalls noch nicht abgefrühstückt."
31.05.2023
Wie politisch darf die Wissenschaft sein?
„Während fachlich versierte Forscher es mitunter schwer haben, breites Interesse für ihre Arbeit in der Öffentlichkeit zu bekommen, erfährt ein anderer Typ Wissenschaftler aktuell Zuspruch. Wir meinen jene, die oft an der Grenze von Wissenschaft und Politik agieren, wenn sie diese in Richtung Letzterer überschreiten. Wie politisch Wissenschaft sein darf, ist freilich umstritten. Allein deshalb, weil die Einschätzungen darüber, wo „das Politische“ beginnt, weit auseinandergehen."
20.04.2023
Staatskult für Judenmörder
„Seitdem in Polen die rechtsnationalistische PiS-Partei an der Macht ist, strickt die Regierung an einem neuen polnischen Nationalbewusstsein. Die polnische Kollaboration mit den Nazis sowie die brutalen Angriffe auf Juden direkt nach dem Holocaust werden geleugnet – mehr noch: 2018 wurde per Gesetz unter Strafe gestellt, diese historischen Fakten zu thematisieren."
28.02.2023
Israel und Pakistan sind historische Zwillinge
„Sie sind beide als ehemals britische Kolonien fast gleichzeitig nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden: Pakistan im Jahr 1947, Israel folgte ein Jahr später. Pakistan ist aus der Bewegung des „Pakistan Movement“ entstanden, die für die Gründung einer muslimischen Nation die Teilung Britisch-Indiens anstrebte. Israel ist die Erfüllung des zionistischen Traums, einen jüdischen Staat zu gründen – als Schutz vor jahrhundertelangen Verfolgungen, Vertreibungen und Pogromen an Juden in Europa, die im Holocaust gipfelten."
30.01.2023
Was Integration mit unserer Küche zu tun hat
„Die Gattung Integrationsdebatte ist zwar keine deutsche Erfindung, doch wurde sie hier scheinbar perfektioniert. Die Formel ist einfach: Geschieht eine Gewalttat durch junge Männer mit Migrationshintergrund, folgt die öffentliche Empörung in den Medien, vorneweg in der Springer-Presse. Dann eilen Politiker und Integrationsexperten in die Talkshows und fordern im pawlowschen Reflex: „Konsequenzen!“ Es wird über die Herkunftskultur der „Migrantenkinder“ geklagt, die hierzulande so viele Probleme bereitet.“
22.12.2022
Persische Arabesken, die sich in Gewalt und Terror verwandeln
„So wie auch wir den Platz für unser Bild noch nicht gefunden haben, suchen die deutsche Öffentlichkeit und die Politik nach einem Umgang mit den Bildern, die wir aktuell aus Iran zu sehen bekommen. Videos, die in den sozialen Medien kursieren, zeigen, wie junge Demonstranten verhaftet und brutal niedergeschlagen werden. Täglich gibt es neue Nachrichten über Entführungen, Todesurteile und Hinrichtungen.“
02.12.2022
Romeo und Julia aus dem Nahen Osten
„Natürlich hat jede Person das Recht, ernst genommen zu werden – übrigens egal, ob sie jüdisch ist oder nicht. Allerdings darf der Maßstab für die Entscheidung, ob Kunst antisemitisch ist, niemals subjektiviert werden. Juden, wie alle anderen Gruppen auch, sind unterschiedlich. Was der eine als verletzend empfindet, kann die andere sogar gut finden. Es braucht also mehr als den Hinweis, dass jemand in seinen Gefühlen verletzt ist, um Antisemitismus oder Diskriminierung nachzuweisen.“
31.10.2022
Wenn der Muezzin in Köln-Ehrenfeld ruft
„Seit einigen Wochen darf die größte Moschee Deutschlands in Köln den Muezzinruf über zwei Lautsprecher ertönen lassen. Und für konservative Politiker ist es aufs Neue ein willkommener Anlass, die alte Wunschvorstellung vom christlich-jüdischen Abendland aus der Mottenkiste zu ziehen. Nur ist die Erzählung von einer idyllischen christlich-jüdischen Tradition etwas, wie soll man sagen: eine ziemlich einseitige Angelegenheit.“
23.09.2022
Eine britische Obsession
„Komische Zeiten. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe, beschäftigt sich die halbe Welt seit zwei Wochen mit dem Tod einer sechsundneunzigjährigen Frau. Die Dauerschleife der Queen-Nachrichten hatte den Vorteil, sich eine Pause von Berichten über den Krieg, die Energiekrise oder die Flutkatastrophe in Pakistan zu erlauben.“
28.08.2022
Warum fällt es religiösen Menschen so schwer, Provokationen auszuhalten?
„Als Rushdie 1989 seinen Roman 'Die Satanischen Verse' veröffentlichte, sorgte dies weltweit für Demonstrationen und Gewaltausbrüche von muslimischen Fundamentalisten. Ob jemand von ihnen das Buch jemals in der Hand hielt?“
28.07.2022
Die sozialen Medien sind der Brandbeschleuniger
„Wir müssen jetzt aufpassen, dass unsere eigene Kolumne nicht als aktivistisches Manifest verstanden wird. Schließlich machen auch wir uns gelegentlich mit identitätspolitischen Anliegen gemein. Tatsächlich wurde uns deshalb schon das eine oder andere Mal vorgeworfen, aktivistisch zu sein. Und das, obwohl wir doch sowieso schon zu alt und spießig dafür sind!“
02.07.2022
Der Koran kennt viele Geschlechter
„Wir haben uns gefragt, worin sich Akzeptanz von Transmenschen in Deutschland im Vergleich zu unseren Herkunftsländern unterscheidet. Uns kommt der Umgang hier verkrampfter vor.“
29.05.2022
Ausschlafen will gelernt sein
„Urlaub haben wir beide anders als hierzulande erlebt, doch bemühen wir uns, uns an die Urlaubskultur der Deutschen anzupassen. Zugegeben, es gibt Grenzen: Tennissocken mit Sandalen werden wir nicht tragen und auch keine Liegen mit Handtüchern reservieren. Was uns inzwischen aber ziemlich gut gelingt: ständig über den Urlaub reden! Wie war der letzte? Wohin geht der nächste? So kann jedes peinlich schweigsame Gespräch gerettet werden.“
02.05.2022
Das Jerusalem-Syndrom
„Am Sonntagvormittag konnten wir endlich unser Auto aus dem Parkhaus holen. Als die hüglige Landschaft Jerusalems immer weiter in die Ferne rückte, stellten wir uns die großen Fragen: Was treibt Menschen dazu, für Steine oder Gräber ihr Leben aufs Spiel zu setzen und Gewalt gegen andere auszuüben? Bin ich ein schlechter Jude? Eine schlechte Muslima? Stimmt etwas nicht mit unserem Glauben, weil wir mit dem Hype um die Heiligtümer nicht viel anfangen können?“
30.03.2022
Jede Krise schafft neue Willkommenskulturen
„Jede Krise bringt neue „Willkommenskulturen“ hervor. Mal zieht die Mehrheit mit, mal wird eher gestänkert, manchmal dominiert offener Menschenhass, und manchmal kippt die Stimmung über Nacht. Worin unterscheidet sich die aktuelle Willkommenskultur von der vorigen?“
26.02.2022
Wem gehören eigentlich Falafel?
„Übrigens, auch wir sprechen nicht für Juden und Muslime. Wir denken vielmehr, dass gerade das Hineinversetzen in andere Kulturen und Lebenswelten großes Potential für Empathie und Solidarität hat: die Fähigkeit, sich in andere Geschichten, Lebenswelten und Epochen einfühlen zu können. Das ist es, was Solidarität jenseits von Kultur und Religion ausmacht.“
22.12.2021
Wie Klicks den Nahostkonflikt bestimmen
„Chanukka haben wir geschafft. Nun können wir uns zurücklehnen und entspannt beobachten, mit welcher Hektik das Land die letzte Strecke vor Weihnachten zurücklegt. Zeit der Besinnung, wie man uns zwischen Betriebsfeier und Shoppingtour hektisch erklärt. Auch bei Jahresendansprachen halten wir uns zurück – schließlich endete das muslimische Jahr im August und das jüdische einen Monat später. Grund zu feiern gibt es ohnehin wenig.“
29.11.2021
Halbmond-Deko am Christmabum?
„Mit Feng-Shui können wir zwar nichts anfangen, aber in puncto hybride Identität haben wir einiges zu bieten: muslimisch, israelisch-jüdisch, pakistanisch und hessisch – all dies ist unserem Kind schon in die Wiege gelegt. Wenn es mit dem Nobelpreis nicht klappt, garantiert die Muttersprachkombination immerhin eine Karriere als Mossad-Agent.“
26.10.2021
Klare Position beziehen
„Jedes Jahr aufs Neue freuen wir uns auf die Frankfurter Buchmesse. Durch die endlosen Gänge schlendern, Neuheiten und Kurioses aufstöbern, den Geruch von frisch gedruckten Büchern in der Nase – es gibt nichts Vergleichbares. Unsere Freude, dass dieses Jahreshighlight 2021, wenn auch mit abgespecktem Programm, wieder stattfinden sollte, währte kurz. Denn die Messeleitung hatte einem rechten Verlag einen prominenten Platz zugewiesen.“
21.09.2021
Ein exklusiver Club
„CSU-Generalsekretär Markus Blume nennt die SPD eine „Krawallpartei“ in der „Todeszone“. SPD-Vorsitzende Saskia Esken wirft CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn eine „menschenunwürdige Haltung“ vor. Der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer wittert einen „rechten Propagandakrieg“, und Medien titeln: „Schmutziger Wahlkampf“. Müssen wir uns um die Demokratie sorgen.“
27.08.2021
Woher kommst du?
„Die Zwillingsschwester des (vermeintlichen) Kompliments „Sie sprechen aber gut Deutsch!“ ist die berühmte Frage: „Woher kommst du?“ Inzwischen gilt sie in vielen Kreisen als No-Go. Häufig werden wir von verunsicherten Menschen angesprochen, die nicht wissen, ob sie diese Frage überhaupt noch stellen dürfen oder nicht. Einmal natürlich, weil wir uns mit diesem Thema beruflich auseinandersetzen. Aber auch deswegen, weil sie uns persönlich gerne diese Frage stellen würden: Wir sind Betroffene.“
28.07.2021
Koscher oder halal?
„Früh haben wir festgestellt, dass wir als Paar auffallen. Einmal natürlich wegen unserer Biographien, die unterschiedlicher nicht sein könnten: als Nachkommen von pakistanischen Flüchtlingen oder Holocaust-Überlebenden; aufgewachsen in einem sozialistischen Kibbuz in der Wüste oder in einem sozialen Brennpunkt Frankfurts; prägende Erfahrungen im muslimisch-konservativen Gemeindeleben oder beim Militärdienst im Südlibanon und im Westjordanland.“